Anspruch und Realität

Teppichfliesen haben keine „nahtlose“ Flächenwirkung

Vollmundige Werbeversprechen schüren immer wieder Erwartungshaltungen, die nicht erfüllt werden können – gerade auch wenn es um das optische Erscheinungsbild von Teppichfliesen geht. Da ist vielversprechend von einem „geschlossenen Flächenbild“ oder einer „nahtlosen Bahnenwarenoptik“ die Rede. Oder es wird ausgesagt, „dass die Fliesen nach dem Verlegen wie ein Teppichboden aussehen“ oder die Fläche „einem durchgängigen Bodenbelag gleicht“.

In Verbindung mit großformatigen Abbildungen, auf denen natürlich keine Fugen zu sehen sind, entsteht beim Kunden der Eindruck, dass Fliesen im verlegten Zustand wie „Auslegware“ aussehen. Auch wenn jeder Praktiker weiß, dass die Realität eine andere ist, lässt sich manch einer dazu hinreißen, in der Beratung eine Fliesenfläche ohne sichtbare Fugen anzupreisen.

Zeitgemäßer Bodenbelag

Um dem Aufschrei der Teppichindustrie gleich entgegenzutreten: Wir haben nichts gegen Teppichfliesen, ganz im Gegenteil. Fliesen haben durchaus ihre Berechtigung und sind in Qualität und Leistungsfähigkeit ein absolut zeitgemäßer Bodenbelag, was sie in etlichen Großobjekten Tag für Tag unter Beweis stellen. Auch die angesprochene Fugen-Diskussion kann daran nichts ändern, tritt sie doch nur selten auf und kann häufig durch das Besinnen auf den gesunden Menschenverstand ohne Mühe beendet werden.

Bekanntes Produkt – andere Optik

Exemplarisch für das angesprochene Thema steht der folgende Fall: Im Neubau eines Großraumbüros sollen auf Wunsch des Mieters Teppichfliesen verlegt werden. Dieser hat bereits konkrete Vorstellungen von der gewünschten Ware, da er auch in anderen von ihm genutzten Objekten auf diese Qualität vertraut.

Zum Einsatz kommt eine „1/10’’-Tuft-Schlinge aus Polyamid mit gewerblicher Eignung (EN 1307, Klasse 33) in einem gedeckten Farbton. Die 50 x 50 cm großen Fliesen mit rückseitiger Schwerbeschichtung sollen auf einem aus Calciumsulfat-Fließestrich bestehenden Hohlboden verlegt werden. Geplant ist eine Fläche von knapp 30.000 m².

Bereits nach der Verlegung der ersten Flächenbereiche nimmt der Mieter die Räume in Augenschein und bemängelt die sich deutlich abzeichnenden Fugen der einzelnen Fliesen. Da er ein solches Erscheinungsbild von der ihm bekannten Ware nicht gewohnt ist, wird die Qualität der Fliesen oder deren Verlegung angezweifelt – es kommt zum Gutachten.

Verlegung einwandfrei

Unter den immer noch vorherrschenden „Baustellenbedingungen“ – die Flächen waren unmöbliert und nur durch schräg einfallendes Tageslicht erhellt – konnten vor Ort in der Tat vermehrt Abzeichnungen einzelner Fugen der Teppichfliesen erkannt werden (Bilder 1 bis 6).

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Bild 1
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Bild 2

 

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Bild 3
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Bild 4

 

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Bild 5
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Bild 6

Die Überprüfung der Verlegung ergab, dass diese fachgerecht erfolgte. Auch die Prüfung der Maßhaltigkeit sowie der Winkligkeit der Fliesen zeigte keine Anhaltspunkte, die die Sichtbarkeit der Fugen begründete (Bilder 7 und 8).

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Bild 7
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Bild 8

Gebrauchsübliche Betrachtung

Beim Begehen der Flächen wurde deutlich, dass die Sichtbarkeit der Fugen stark von der Blickrichtung in Abhängigkeit des Lichteinfallwinkels differierte. Um hier eine annähernd gebrauchsübliche Betrachtung zu simulieren, wurden die für die Ausleuchtung vorgesehenen Deckenfluter aufgestellt und eingeschaltet.

Bereits danach waren kaum noch Abzeichnungen der Teppichfliesen-Fugen erkennbar, auch nicht aus unterschiedlichen Blickwinkeln (Bilder 9 und 10).

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Bild 9
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Bild 10

BSR-Richtlinie

Einen Anhaltspunkt zur Begutachtung von Beanstandungen gibt die BSR-Richtlinie „Betrachtungsweise zur gutachterlichen Beurteilung des Erscheinungsbildes von Fußbodenoberflächen“.

Hier heißt es unter anderem, dass eine Fußbodenoberfläche grundsätzlich aufrechtstehend betrachtet wird oder im Bedarfsfall – wenn beispielsweise die Betrachtungsweise überwiegend sitzend erfolgt – bei gebückter Haltung im Abstand von mindestens einem Meter.

Es wird aber auch darauf hingewiesen, dass Unregelmäßigkeiten, die aus einer Blickrichtung sichtbar werden, auch aus einer weiteren, veränderten Blickrichtung erkennbar sein müssen.

Ebenso muss Streiflicht-Gegenlicht, das durch bauliche Gegebenheiten auch bei gebrauchsüblicher Nutzung vorliegt, bereits bei der Verlegung sowie bei der späteren Beurteilung beachtet werden.

Selbstverständlich sind produkt- und systemtypische Eigenschaften von Bodenbelägen und Verlegewerkstoffen bei der Beurteilung zu berücksichtigen.

Zusammenfassend:

Unter „praktischen“ Gesichtspunkten zeigten die überprüften Flächen der verlegten Teppichfliesen ein optisch einwandfreies Erscheinungsbild. Die in Abhängigkeit der Schräglichteinwirkung unterschiedlich im Sichtfeld des Betrachters erkennbaren Stöße der Fliesen sind erwartungsgemäß und in dieser oder ähnlicher Art produkt- und systemtypisch. Insbesondere dann, wenn eine Fläche unmöbliert ist.

Der Mieter, der ein anderes „fugenloses“ Erscheinungsbild der gewählten Teppichfliesen-Qualität aus seinen bereits genutzten Objekten gewohnt ist, sah schnell ein, dass bei einer gebrauchsüblichen – also möblierten – Betrachtung die auch dort vorhandenen Fugen nicht störend wahrgenommen werden. Mit dieser nachvollziehbaren Erklärung konnte die Verlegung weitergeführt werden.

Fazit

Der Anspruch, dass das Erscheinungsbild von Teppichfliesen-Flächen vergleichbar mit dem von Teppichbahnenware sein soll, kann fachtechnisch nicht zugesichert werden. Auch dann nicht, wenngleich von Fall zu Fall dieser Eindruck entsteht – in Abhängigkeit der Lichtverhältnisse und Möblierung vor Ort sowie der Farbgebung und Struktur der Nutzschicht der Teppichfliesen.

Zudem hängt die Sichtbarkeit der Stöße ordnungsgemäß hergestellter Teppichfliesen-Flächen von der Art und Beschaffenheit der Nutzschichtstruktur und der Farbstellung der Fliesen ab.

Die sichtbare Präsenz von Stößen aneinander grenzender Teppichfliesen nimmt erfahrungsgemäß mit der Möblierung und Beleuchtung sowie der Frequentierung, aber auch mit der laufenden Reinigung und Pflege ab.

Ein „offenes Wort“ im Beratungsgespräch ist auch in diesem Fall einfacher, als einem Kunden den Unterschied zwischen Anspruch und Realität zu erklären.