Der kleine Unterschied

Fehlt der aktuellen Stuhlrollenprüfung ein Bezug zur Praxis?

Jeder Fachmann kennt das kleine Symbol mit der Stuhlrolle und weiß, ein so ausgezeichneter Bodenbelag darf z. B. mit Bürodrehstühlen „befahren“ werden: harte Böden mit weichen Rollen und weiche Böden mit harten Rollen. Längst nicht alle vermitteln dieses Wissen auch ihrem Kunden, der arglos seinen neuen Bodenbelag in Gebrauch nimmt oder einen Bürostuhl kauft, ohne über die „Rollenproblematik“ nachzudenken. Hier ist der Fachmann gefragt, seinen Kunden aufzuklären und auf diese Besonderheit hinzuweisen. Von Seiten des Möbelhandels ist hier übrigens so gut wie nichts zu erwarten. Ein Hinweis auf unterschiedliche Rollen sucht man im Privatkundengeschäft vergebens, erst den Objektausstattern ist das Thema ein Begriff.

Und auch bei der Bodenbelagsindustrie findet man Hinweise auf die „richtigen“ Stuhlrollen oft erst auf den zweiten Blick. Bei den elastischen Belagsanbietern ist zumeist im technischen Datenblatt folgender Hinweis gegeben:

„Für Stuhlrollenbeanspruchung nach EN 425 geeignet bei Verwendung von Stuhlrollen Typ W (gemäß EN 12529)“. Die textilen Belagsanbieter verweisen im Regelfall nur auf das Stuhlrollen-Symbol: „Stuhlrolle“ für Geschäftsräume und „Stuhlrolle wohnen“ (mit Haus im Symbol) für Privaträume. Die Information darüber, welche Aussage hinter diesem Symbol steht oder welche Norm zugrundegelegt wurde, wird ebenso wenig gegeben wie ein Hinweis darauf, wie die Rollen beschaffen sein sollen.

Der Zusammenhang ist bei elastischen Bodenbelägen schnell erklärt:

Die DIN EN 425 „Elastische Bodenbeläge und Laminatböden – Stuhlrollenversuch“ legt die Prüfungsdurchführung fest, die DIN EN 12 529 „Räder und Rollen – Möbelrollen – Rollen für Drehstühle – Anforderungen“, die Art der zu verwendenden Rollen.

Vielschichtiger ist es bei Teppichböden: Die DIN EN 1307 „Textile Bodenbeläge – Einstufung von Polteppichen“ legt die geforderten Gebrauchseigenschaften fest. Zusatzeignungen wie die Stuhlrolleneignung werden in der DIN 66 095-4 „Textile Bodenbeläge; Produktbeschreibung; Zusatzeignungen; Einstufung, Prüfung, Kennzeichnung“ definiert. Die eigentliche Prüfung ist in der DIN EN 985 „Textile Bodenbeläge – Stuhlrollenprüfung“ festgeschrieben. Die Rollenart ergibt sich dann wiederum aus der DIN EN 12 529.

Die DIN EN 12529 definiert demnach Typ H-Rollen mit harten Laufflächen für textile Bodenbeläge, Typ W-Rollen mit elastischer Lauffläche für harte (nicht textile), also auch elastische Bodenbeläge. Weiterhin kennt die Norm einen Typ C für elektrisch leitfähige Rollen sowie einen Typ U für lastabhängig gebremste Rollen. Damit nicht genug, wird auch noch in der Bauart unterschieden: Es gibt Monorollen mit nur einer Lauffläche und Doppelrollen mit zwei parallelen Laufflächen. Die jeweilige Bauart kann dann mit Rädern des Typ H, W, C oder U ausgestattet sein.

So weit die (relativ) eindeutige Theorie. In der Praxis scheinen jedoch einige Faktoren nicht so recht zusammenzupassen: So wird beispielsweise in der DIN EN 985 „Textile Bodenbeläge – Stuhlrollenprüfung“ ein Teppichboden mit einer harten Monorolle geprüft. Da es aber fast nur Bürodrehstühle mit Doppelrollen gibt, sind die Belastungen in der Praxis deutlich höher als in der Normenprüfung (Bild 1).

Bild 1
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Auch die DIN EN 425 „Elastische Bodenbeläge und Laminatböden – Stuhlrollenversuch“, Ausgabe 2002, prüft noch mit Monorollen, allerdings Typ W. Die „handelsübliche“ Doppelrolle wird nicht erwähnt. Kurios: Noch in der Normen-Ausgabe von 1994 wurde als Standard mit harten Rollen geprüft und lediglich darauf hingewiesen, dass auch Rollen vom Typ W erlaubt sind. Genormt heißt nicht immer reklamationsfrei. Aus diesen kleinen Unterschieden zwischen Norm und Praxis ergibt sich dann auch hier der Umstand, dass „genormt“ nicht immer „reklamationsfrei“ bedeutet.

Doch damit nicht genug: Vor gut einem Jahr begutachteten wir in der Verwaltungsetage einer Bank die Arbeitsplatzbereiche. Die relativ neu verlegte Webware (Velours) zeigte an zum Teil nebeneinander liegenden mit Stuhlrollen belasteten Arbeitsbereichen unterschiedlich starke Oberflächenveränderungen. Da alle Bürodrehstühle mit genormten Rollen mit harten Laufflächen ausgestattet waren, wurden bei der Ursachenforschung alle erdenklichen Möglichkeiten, wie unterschiedliches Gewicht der dort arbeitenden Personen, in Betracht gezogen. Letztlich zeigte sich zweifelsfrei, dass ein direkter Zusammenhang zwischen alten und neuen Bürodrehstühlen besteht.

Innerhalb der Arbeitsplatzbereiche, die auch aus Sicht des Nutzers nach dem Zeitraum der Stuhlrollenbeanspruchung eine einwandfreie Teppichbodenoberfläche zeigten, wurden Bürodrehstühle verwendet, die mit Doppel-Lenkrollen „Typ U“ ausgestattet sind und Räder vom „Typ H“ aufweisen.

In den beanstandeten Arbeitsplatzbereichen, die eine deutlich sichtbare Oberseitenveränderung des Teppichbodens zeigten (Aufhellung), waren Doppel-Lenkrollen vom Typ H im Einsatz. Diese Rollen haben eine starre Achse. Da die Rollen vom Typ U mit Rädern vom Typ H lastenabhängig gebremst und infolgedessen auch elastisch aufgehängt sind, weisen diese eine „nachgiebige“ Achse auf (Bilder 2 und 3).


 
Bild 2
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Bild 3
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Mit diesem Wissen haben wir in diversen Objekten stuhlrollenfrequentierte Arbeitsplatzbereiche überprüft und tatsächlich Wiederholungen der zuvor beschriebenen Situation festgestellt. Zudem zeigte sich, dass ein deutlicher Zusammenhang mit gegebenen Unebenheiten auf kurzem Nennmaßbereich in der Oberfläche des Fußbodens besteht. In diesen Bereichen wird der Teppichboden von Doppel-Lenkrollen mit starrer Achse deutlich höher beansprucht als mit lastenabhängig gebremsten vom Typ U, die eine bewegliche, nachgiebige Achse zwischen den Rädern aufweisen.

Zur Verdeutlichung wurde der Bewegungsverlauf der Stuhlrollen im Stuhlrollengerät auf „Kohlepapier“ abgedruckt: Die bisherigen Erkenntnisse zeigen, dass, wie bereits bekannt, Monorollen (Bild 4) auch bei vorhandener, starrer Achse geringere physikalische Beanspruchungen auf der Oberfläche des Bodenbelages verursachen.


 
Bild 4
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Doppel-Lenkrollen (Bild 5) weisen „schärfere“ Konturen sowohl im Lauf- als auch im Schwenkbereich der Rollen auf, die eine intensivere Beanspruchung des Bodenbelages bedeuten. Bei Verwendung einer lastenabhängig gebremsten Doppel-Lenkrolle „Typ U“ (Bild 6) zeigen die auf dem Kohlepapier abgedruckten Laufbahnen und Schwenkbereiche deutlich weichere Konturen.


 
Bild 5
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Bild 6
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Dies lässt den Rückschluss zu, dass bei Einsatz der Rollen des Typ U der „mechanische Angriff“ auf den Bodenbelag geringer ist. Die bisherigen Testverläufe mit stuhlrollengeeigneten Teppichböden haben diese Erkenntnis bestätigt.

DIN 18 365

Die DIN 18 365 Bodenbelagsarbeiten führt im Teil 0 „Hinweise für das Aufstellen der Leistungsbeschreibung“ unter Punkt 0.2.5 aus: „Maße, Farbtönung, Flächenaufteilung, Oberflächenbeschaffenheit, Verwendungszweck und besondere Eigenschaften der Bodenbeläge, z. B. Stuhlrolleneignung…“

Im sogenannten BEB-Kommentar heißt es hierzu u. a: „Besondere Anforderungen hinsichtlich optischer und technischer Funktionen der Bodenbeläge sowie nutzungsbedingter Erfordernisse/Eigenschaften müssen im Leistungsverzeichnis benannt werden.“

„Die technischen Merkmale und funktionellen Eigenschaften sind ebenso wie gestalterische Aspekte detailliert zu beschreiben. Gleiches trifft zu für erforderliche oder gewünschte sog. Zusatzeignungen wie Stuhlrolleneignung, Brandverhalten, Treppeneignung, Feuchtraumeignung, elektrische Ableitfähigkeit.“

„Die Stuhlrolleneignung bezieht sich ausschließlich auf Bürodrehstühle mit Möbelrollen nach DIN EN 12529.“ „Die Einstufung der Bodenbeläge auf Stuhlrolleneignung erfolgt durch Beurteilung von Aussehensveränderungen im Rahmen von Laborprüfungen.“

Fazit

Die Stuhlrollennormen DIN EN 985 und DIN EN 425 müssen modifiziert und an die Praxis angepasst werden, zum Beispiel Prüfung mit Doppel- statt Monorollen. Auch die Möbelindustrie muss in diesen Prozess mit eingebunden werden. In den technischen Datenblättern der Bodenbeläge sollten einzusetzende Rollen möglichst genau definiert werden. Eine Übereinstimmung von dem, was geprüft wurde mit dem, was empfohlen wird, wäre wünschenswert.

Sollten sich die positiven Erfahrungen mit den lastenabhängig gebremsten Rollen vom Typ U wissenschaftlich bestätigen lassen, ist zu überlegen, dieser Konstruktionsart den Vorzug zu geben. Handwerk und Handel sind in ihrer Hinweis- und Aufklärungspflicht von Seiten der Industrie und der Verbände zu unterstützen. Mit Übergabe der Reinigungs- und Pflegeanleitung muss auch ein Hinweis auf die Nutzung des Bodenbelages mit Stuhlrollen erfolgen. Grundsätzlich ist es auf allen Bodenbelagsarten ratsam, Stuhlrollenbereiche mit geeigneten Unterlagsmatten zu schützen – auch im privaten Bereich.