Forensisches Licht deckt Schaden auf

Der Begriff Forensik, umgangssprachlich auch als Rechtsmedizin bezeichnet, fasst Arbeitsgebiete zusammen, in denen kriminelle Handlungen identifiziert und analysiert werden. Im Sachverständigenwesen geht es zwar selten um das Aufdecken krimineller Handlungen, aber dennoch machen wir uns schon seit einigen Jahren forensische Techniken zu nutze. Beispielsweise, um mit bloßem Auge nicht zu erkennende Materialveränderungen sichtbar zu machen. So gelingt es mit Licht unterschiedlicher Wellenlängen, Materialstrukturen zu analysieren und eine Aussage darüber zu treffen, ob ein Produkt den vertraglich vereinbarten Eigenschaften entspricht oder ob es fehlerhaft ist – wie im folgenden, teilfiktiven Fall.

Eindruckstellen und Verfärbungen

In einer 900 Quadratmeter großen Gemeinschaftspraxis wurde ein homogener PVC-Bodenbelag auf einem beheizten Calciumsulfat-Fließestrich verlegt. Rund ein Jahr nach Nutzungsaufnahme stellten sich zunehmend gelblich-beige Verfärbungen ein. Diese traten punktuell auf der gesamten Fußbodenfläche auf, zum Teil auffallend im Bereich von Eindruckstellen. Auf Nachfrage wurde bekanntgegeben, dass die Reinigung der Fußbodenflächen im Feuchtwischverfahren mit einer Scheuersaugmaschine durchgeführt wird. Zudem werden die Bodenbeläge der Verbindungsflure zweimal wöchentlich und die der Patientenzimmer täglich mit einem Flächendesinfektionsmittel behandelt.

Die Bestandsaufnahme zeigte, dass wiederkehrend Eindruckstellen vorlagen, vor allem im Umfeld der mit Rollen ausgestatteten Dialyse-Maschinen und Dialyse-Liegen oder fahrbaren Schubladenschränken. Parallel hierzu zeigte sich signifikant deckungsgleich zu den Eindruckstellen eine gelblich-beige Verfärbung des homogenen PVC-Belags. Zwecks weitergehender Überprüfung der Ursache wurde mit einem Kreisschneider eine betreffende Fläche aus der PVC-Bodenbelagebene ausgeschnitten.

Die entnommene PVC-Bodenbelagsprobe zeigte rückseitig Klebstoffanhaftungen in Riefenformation der Zahnleistengröße „TKB A2“. Die Riefenformation lässt vermuten, dass der PVC-Belag bei einer Ablüfte-/Einlegezeit, die den Übergang zwischen Nassklebung und Haftklebung markiert, in das Klebstoffbett eingelegt wurde. Im Bereich der aufgetretenen Punktbelastungen durch Möbelrollen liegen die Klebstoffriefen komprimiert vor. Ein Sachverhalt, der flächig verteilt wiederholt festgestellt wurde.

Neben den punktuellen Verfärbungen deckungsgleich zu Eindruckstellen, konnten auch streifenartige Farbveränderungen im Bereich von Kratzern in der Oberfläche des PVC-Bodenbelags festgestellt werden. Durch Abziehen der gelblich-beige verfärbten Oberfläche im Bereich dieser „Schleifspuren“ mit einem Glasschaber zeigte sich eine deutliche Reduzierung der Verfärbung. Bei näherer, makroskopischer Betrachtung war erkennbar, dass der homogene PVC-Bodenbelag eine werkseitige Lackierung beziehungsweise Schutzversiegelung aufweist. Diese zeigte in diesem Bereich eine genarbte Struktur und netzartige Rissbildungen. Mit Abtragen der „Schutzschicht“ verschwand die Verfärbung nahezu vollständig. Dies ließ den Schluss zu, dass die Verfärbungen nur dort auftreten, wo die werkseitige Schutzversiegelung mechanisch angegriffen, also „verletzt“ wurde und sich so die Wischflotte einlagern konnte.

Laboruntersuchungen

Aus Erfahrung mit optisch vergleichbaren Erscheinungsbildern konnte davon ausgegangen werden, dass ein Defekt in der „Schutzschicht“ des homogenen PVC-Belags vorlag. Durch diesen war es möglich, dass das regelmäßig beaufschlagte Flächendesinfektionsmittel in die beschädigten Bereiche der „Schutzschicht“ eindringt und im Zuge der Alterung/Austrocknung eine gelb-beige Verfärbung entsteht. Um diese Vermutung zu überprüfen, wurden verfärbte Bodenbelagsproben sowie unverlegtes Restmaterial im technischen Labor des IFR untersucht.

Erst ein Betrachtungsvergleich der Probe unter Tageslicht sowie unter forensischem Licht der Wellenlänge 365 nm, was einer Ultraviolettstrahlung (UV-Strahlung) entspricht, führte auf die richtige Spur. Deutlich zeigten sich unter UV-Strahlung die gelb-beigen Verfärbungen. Mit zunehmender mikroskopischer Betrachtung wurde eine deutliche Netzriss-Struktur innerhalb der beschädigten „Schutzschicht“ festgestellt. Mit dieser Erkenntnis wurde vergleichend das unverlegte Original-PVC-Material untersucht. Es zeigte auf den ersten Blick keinen Defekt der „Schutzschicht“. Erst nach einer einfachen Biegebeanspruchung des Materials konnten innerhalb der „Schutzschicht“ gleiche Rissbildungen wie in der verlegten Ware festgestellt werden.

Die festgestellten Verfärbungen stehen nur indirekt im Zusammenhang mit den vorgefundenen Eindruckstellen. Ausschlaggebend war, dass die „Schutzschicht“ zu spröde/brüchig ist und der mechanischen Belastung nicht Stand hält.

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1. Sachverhalt
Im homogenen PVC-Bodenbelag einer Gemeinschaftspraxis traten rund ein Jahr nach Nutzungsaufnahme gelb-beige Verfärbungen im Bereich von Eindruckstellen auf. Es musste festgestellt werden, welchen Zusammenhang es zwischen den Eindruckstellen und den Verfärbungen gibt.

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2. Probennahme
Durch Öffnen des Belags konnte die Verklebung und die Beschaffenheit des Materials begutachtet werden.

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3. UV-Strahlung
Bei der Betrachtung der Proben unter Tageslicht (l.) und unter UV-Strahlung (r.) zeigten sich deutliche Unterschiede.

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4. Mikroskopie
Unter Einsatz einer forensischen Lichtquelle mit einer Wellenlänge von 365 nm wurde deutlich, dass die „Schutzschicht“ des Belages bei Belastung eine deutliche Netzriss-Struktur bildet.

Eindruckstellen

Bleibende Eindruckstellen bei verklebten, elastischen Bodenbelägen in Kombination mit der Verwendung handelsüblicher, geeigneter Dispersions-Nass- und Haftklebstoffe sind nicht immer vermeidbar. Anwendungstechnisch korrekt ist es, „so viel Klebstoff wie nötig“ und „so wenig Klebstoff wie möglich“ einzusetzen. Die Einlegezeit ist so zu wählen, dass eine Nassklebung erfolgen kann. Nach Einlegen und Anreiben des Belags wird durch Anrollen (mit 50 kg Walze) der in Riefenform aufgetragene Dispersionsklebstoff überwiegend so komprimiert, dass ein dünner Klebstoff-Film zwischen Bodenbelag und Untergrundoberfläche entsteht. Dieser Klebstoff-Film verhindert, dass es zu Eindruckstellen im Klebstoffbett kommt. Im vorliegenden Fall wurde die Verlegung eher als Haftklebung praktiziert, sodass nach Einlegen und Anreiben des Belags die Klebstoffriefen nicht vollständig zusammengedrückt wurden. Die Folge ist, dass hohe Punktlasten die Klebstoffriefen komprimieren und so bleibende Eindruckstellen entstehen.

Fazit

Die Oberfläche des homogenen PVC-Bodenbelags zeigt im Zuge des Gebrauchs Merkmale, die dazu führen, dass mikrofeine Riss-Strukturen in der werkseitigen „Schutzschicht“ entstehen. Als Ursache wird ein Defekt in der Bodenbelagsoberfläche beziehungsweise der werkseitigen „Schutzschicht“ gesehen. Dieser ist dafür verantwortlich, dass es durch Eindringen von Desinfektionsmitteln zu optischen Veränderungen, letztlich flecken- und streifenartigen Verfärbungen kommt. Es liegt im Verantwortungsbereich des Bodenbelagsherstellers, dass die zugesicherten technischen Eigenschaften des Produktes nicht erfüllt werden. Im Rahmen einer Testfläche kann versucht werden, die vorhandene Schutzschicht zu entfernen und neu wieder aufzubauen. In Zukunft ist außerdem darauf zu achten, dass Desinfektionsmittel nur in enger Absprache zwischen Reinigungs- und Beschichtungsmittel-Hersteller sowie dem Bodenbelagshersteller und dem Reinigungsunternehmen angewendet werden.