Theorie und Praxis

Normengerecht bedeutet nicht zwangsläufig auch praxistauglich

Normative Spezifikationen sollen bei der Produktauswahl unterstützen. Zum Beispiel beschreibt die DIN EN 649 „Elastische Bodenbeläge – homogene und heterogene Polyvinylchlorid-Bodenbeläge – Spezifikation“ unter dem Punkt 1. „Anwendungsbereich“ unter anderem Folgendes:

„Um den Verbraucher bei seiner Auswahl zu unterstützen, enthält diese Norm ein Klassifizierungssystem (siehe EN 685 „Elastische, textile und Laminat-Bodenbeläge – Klassifizierung“) auf Basis der Nutzungsintensität, das zeigt, wofür diese Bodenbeläge ein zufriedenstellender Nutzen möglich wäre.“

Für den Planer, aber auch für Verbraucher und Nutzer ebenso wie für Verleger sind in dem genormten Klassifizierungssystem wichtige Eigenschaften wie zum Beispiel Stuhlrolleneignung, Verschleißverhalten, Lichtechtheit etc. definiert. Anhand dieser normativ zugesicherten Eigenschaften wird ein Bodenbelag ausgewählt, der den zu erwartenden Anforderungen entspricht.

So weit die Theorie. In der Praxis können jedoch einige unter Laborbedingungen an unverlegten Bodenbelägen definierte Eigenschaften nicht erfüllt werden. Bei der Produktauswahl ist den Beteiligten dies oft nicht bewusst. So wird beispielsweise die Rutschsicherheit an sauberen Originalbelagsmustern mit Normschuhwerk geprüft. In der Praxis wird jedoch mit allen möglichen Schuhsohlen ein zumeist nicht optimal gereinigter Boden begangen. Eklatant ist das Missverhältnis beim Stuhlrollenversuch, der mit Monorollen ausgeführt wird. In der Praxis sind allerdings nahezu ausschließlich Bürostühle mit Doppelrollen vorzufinden (siehe Boden-Profi 56, RZ 03/09).

In der Theorie wird also allzu oft vergessen, dass der Bodenbelag an sich ein Halbfertigprodukt ist. Erst durch seine fachgerechte Verlegung wird er zu dem, was wir eigentlich wollen – einen funktionsfähigen Fußboden.

Auch wird zu bezweifeln sein, dass sich ein planender Architekt/Bauherr über die Bedeutung Gedanken macht, ob ein Polyvinylchlorid-Bodenbelag in Bahnen oder Platten um 0,4 % bzw. 0,25 % schrumpft oder Resteindrücke von im Mittel < 0,1 Millimeter normgerecht sind. Ist ein Bodenbelag nach Norm (z. B. EN 685) für den vorhandenen Verwendungszweck geeignet, sollte man davon ausgehen, dass er dies auch im verlegten – also auch verklebten – Zustand noch ist. Dem ist leider nicht immer so, wie Untersuchungen des IFR am Beispiel der Maßänderung elastischer Bodenbeläge immer wieder zeigen.

Homogener PVC

2006 wurde ein hochwertiger homogener PVC- Fliesenbelag mit professionellen Verlegewerkstoffen einwandfrei verlegt und thermisch verschweißt. Nach einem Jahr zeigten sich erste Fugenbildungen infolge von Flankenabrissen des Schweißdrahtes bis zu 7 Millimeter. Bei der Untersuchung (2009) war bemerkenswert, dass der unterhalb des Belages auf dem trockenen Untergrund befindliche Dispersionsklebstoff in weichplastischer, fadenziehender Substanz vorlag (Bilder 1 und 2).

Bild 1
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Bild 2
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Heterogener PVC

2008 wurde ein heterogener PVC-Bahnenbelag verklebt und die Nähte mit einem PVC-Kaltschweißmittel chemisch verschweißt. Ein viertel Jahr später traten Fugenbildungen auf. Bemerkenswert: Das Kaltschweißmittel lag zum Teil fadenziehend über die Fugenbreite von 2 bis 3 Millimeter vor (Bilder 3 und 4).

Bild 3
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Bild 4
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PVC-Designbelag

Noch während der Verlegung von Kunststoff-Design-Bodenbelagplanken Ende 2007 zeigten sich in unmittelbar zuvor fertiggestellten Flächenbereichen Fugenbildungen. Im Kopfstoßbereich aneinander grenzender Elemente konnten im Mittel 3 Millimeter breite Fugen (im Einzelfall Fugenbreiten bis > 4 Millimeter) festgestellt werden (Bilder 5 und 6).

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Bild 6
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Ursachensuche

Im Zuge der Ursachenforschung prüfte das IFR den oben genannten heterogenen PVC-Verbundbelag nach EN 1903 „Klebstoffe – Prüfverfahren für Klebstoffe für Boden- und Wandbeläge aus Kunststoff oder Gummi – Bestimmung der Maßänderung nach beschleunigter Alterung“ im Hinblick auf Fugenbildungen mit dem vor Ort verwendeten Dispersionsklebstoff.

Die Probeklebungen erfolgten einerseits direkt auf Faserzementplatten und andererseits auf solchen, die mit der vor Ort verwendeten Nivelliermasse 2,0 mm dick gespachtelt wurden. Parallel erfolgte an unverlegtem Belag die Bestimmung der Maßänderung nach beschleunigter Alterung (DIN EN 434).

Nach normgerechten Lagerungszyklen überraschte das Ergebnis (siehe Tabelle): So zeigte sich zum Beispiel die Probe des PVC-Verbundbelages lose liegend maßstabiler als verklebt. Gleichzeitig wurde der Belag nach DIN EN 434 als normgerecht geprüft. Weiterhin konnte auch ein Einfluss der Spachtelmasse auf das Maßänderungsverhalten festgestellt werden.

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Fugenbildungen elastischer Bodenbeläge

Keinesfalls darf die Ursache entstehender Fugenbildungen zwischen verklebten elastischen Bodenbelägen pauschal be- oder verurteilt werden. Objektbezogene Umstände wie Feuchte, Reinigung und Pflege, Desinfektion, thermische Einflüsse etc. können ebenso für das Schrumpfen verantwortlich sein wie der Bodenbelag selbst, der Klebstoff oder das Zusammenwirken verschiedener Ursachenparameter als multikausale Auslösungsmomente.

In den vergangenen Jahren hat man im IFR Köln jeden Einzelfall, der herangetragen wurde, untersucht, um die tatsächlichen Ursachengesichtspunkte zu verifizieren. Hierbei haben sich einerseits überraschende Ergebnisse und Erkenntnisse gezeigt und andererseits Grundsätze herauskristallisiert, die deutlich machen, dass Verlegewerkstoffe, insbesondere Klebstoffe einen erheblichen Einfluss auf die Formstabilität elastischer Bodenbeläge haben.

Fazit

Theorie und Praxis sind gerade bei normativ festgelegten Produkteigenschaften zwei Paar Schuhe. Letztlich muss der Verleger zugesicherte (Produkt)Eigenschaften an der fertigen Fußbodenkonstruktion gewährleisten, was nicht immer einfach ist. Es ist daher immer zu empfehlen, unter Beachtung der DIN 18 365 „Bodenbelagsarbeiten“ und der mitgeltenden Normschriften, Merkblätter und Richtlinien zu arbeiten. Außerdem sind ausnahmslos für das Kleben von Bodenbelägen geprüfte und empfohlene Verlegewerkstoffe einzusetzen. Das „Arbeiten im System“ hat sich bewährt. Verarbeitungsrichtlinie und Verlegeanleitungen, die sich auch mal ändern können (!), sind zu beachten: In den vergangenen Monaten haben Hersteller und Händler elastischer Bodenbeläge für ihre jeweiligen Bodenbelagprodukte neue Klebstoffempfehlungen ausgelobt, die zwingend zu beachten sind.

Lassen Sie sich schriftlich für den zu verlegenden/klebenden Bodenbelag eine entsprechende objektbezogene Verlegewerkstoff- und Klebstoffempfehlung aushändigen. Nur so ist sichergestellt, dass Sie im Zuge einer möglichen Komplikation nicht alleine dastehen. Denn sicher ist: Verwenden Sie eigenbestimmt Verlegewerkstoffe ohne Rücksprache oder Empfehlung, haben Sie im Fall einer Reklamation einen schweren Stand, auch wenn Sie anwendungstechnisch einwandfrei gearbeitet haben.