Sonderestriche nur nach Freigabe belegen

Gerade in den immer häufiger werdenden schwül-warmen Sommern in Deutschland verlängern sich die Trocknungszeiten von mineralischen Estrichen. Um den sowieso schon engen Bauzeiten-Plan einzuhalten, setzen daher viele Bauherren (nicht nur im Sommer) auf modifizierte Estriche, die eine schnellere Trocknung gewährleisten sollen. Bei Zementestrichen erfolgt dies entweder durch den Einsatz von Schnellzementen (SZ) als Spezialbindemittel oder durch die Zugabe von Estrich-Zusatzmitteln (EZM) in Estrichen auf Basis von Normalzement.

Die Technische Kommission Bauklebstoffe (TKB) führt dazu im TKB-Merkblatt 14 „Schnellzementestriche und Zementestriche mit Estrichzusatzmitteln“ aus: „Der Anteil des chemisch gebundenen Wassers ist bei Normalzement-Estrichen mit oder ohne EZM nahezu gleich. Der Anteil des Wassers, das bis zur Erreichung der Belegreife verdunsten muss (physikalische Trocknung), kann durch EZM reduziert werden. Für die mit EZM zu erreichenden Estricheigenschaften, wie zum Beispiel Festigkeitsentwicklung, Schwindverhalten und insbesondere die Trocknungszeit, gibt es vielfältige unterschiedliche Aussagen, die teilweise einer Überprüfung nicht standhalten. Dies führt zu Unsicherheit, sowohl bei Planern als auch bei Verarbeitern.“

In einer gemeinsamen Erklärung der Fachgruppen des Bundesverbands Estrich und Belag (BEB) und des Zentralverbands des Deutschen Baugewerbes (ZDB) von 2007 heißt es: „Schnellestriche und mit trocknungsbeschleunigenden Zusatzmitteln hergestellte Estriche sind Sonderestriche, die auch mit der CM-Methode gemessen werden können. Allerdings gibt es hier keine allgemeinverbindlichen Grenzwerte. Die Vorgabe, wann solch ein Sonderestrich gefahrlos belegt werden kann, muss über den Hersteller des ‚Schnell‘-Bindemittels beziehungsweise des Zusatzmittels erfolgen. Ein aussagefähiges Prüfzeugnis des Herstellers sollte vertraglich eingebunden werden.“

So viel zur Theorie. In der Praxis stellt sich die Situation oft anders dar: Der Auftragnehmer für Bodenbelagarbeiten muss die Verlegereife, also den Zeitpunkt, wann der Estrich ausreichend getrocknet ist, um belegt zu werden, selbst bestimmen. Dazu greift er auch bei Sonderestrichen auf die CM-Messung zurück und berücksichtigt – soweit vorliegend – Vorgaben des Estrich- oder Zusatzmittel-Herstellers zu Grenzwerten, die von Norm-Estrichen abweichen. Wird dieser Grenzwert erreicht, wählt er den weiteren Aufbau auf Empfehlung seines Verlegewerkstoff- und Bodenbelagslieferanten. Dabei greift er auf Systemlösungen zurück, die im Regelfall für Normestriche entwickelt wurden und nicht für Sonderestriche.

DIE SITUATION
Auf einem modifizierten Estrich wurden Polyurethan-Bodenbeläge verlegt, die nach sechs Wochen Nahtkanten-Aufstippungen aufwiesen.

Probleme trotz zulässigem CM-Wert

Ein teilfiktives Beispiel: In einem öffentlichen Bauvorhaben sollen auf Zementestrichen Polyurethan-Bodenbeläge verlegt werden. Der Auftraggeber teilt dem Bodenleger mit, dass der Estrich mit einem „Hochleistungsbeschleuniger“ modifiziert wurde. Aus dem Technischen Datenblatt geht hervor, dass die Belegreife für das Verkleben von elastischen Bodenbelägen bei 2,9 CM-Prozent gegeben ist. Der Bodenleger zieht seinen Verlegewerkstoff-Lieferanten hinzu. Dieser führt vor Beginn der Verlegung mehrere CM-Messungen durch, bei denen er maximal 2,2 CM-Prozent misst, sodass mit den Verlegemaßnahmen begonnen werden kann. Hierzu setzt der Bodenleger einen Systemaufbau aus Vorstrich, Spachtelmasse und Klebstoff ein, der für den eingesetzten Bodenbelag freigegeben ist.

Nach der Verlegung wurden die Flächen für rund drei Wochen mit Malervlies abgedeckt. Nach dem Abdecken zeigte der Belag flächig verteilt Nahtkanten-Aufstippungen sowie Blasen- und Beulenbildungen. Im Zuge der Schadensbegutachtung wurde eine korrespondierende relative Luftfeuchte innerhalb einer Beule gemessen. Sie lag bei 86 Prozent. Das Raumklima betrug 35 Prozent relative Feuchte bei 20 Grad. Beim Aufnehmen des Belages wurde eine Klebstofffuge mit hoher Festigkeit vorgefunden. Eine Drahtbürsten- und Gitterritzprüfung der Oberfläche der Spachtelmasse bestätigte ebenfalls eine hohe Festigkeit.

Für eine labortechnische Feuchtebestimmung wurden Proben des Estrichs, des bereits verlegten Bodenbelags und Original-Rückstellware des Belags luftdicht verpackt und später einer Darrprüfung unterzogen. Hierbei zeigte der modifizierte Estrich einen Wert von 2,77, der verlegte Bodenbelag von 0,42 und die Rückstellware von 0,21 Gewichtsprozent. Weitere orientierende Prüfungen des Belags bestätigten die Vermutung, dass dieser durch ein überproportionales Feuchteangebot eine Breiten- und Längenzunahme erfahren hat. Dies unterstreicht auch die sechs Wochen nach der Verlegung unterhalb des Belags festgestellte relative Luftfeuchte von 86 Prozent. Allerdings zeigte die Darrprüfung des Estrichstemmguts zum gleichen Zeitpunkt ein Erreichen der Gleichgewichtsfeuchte, sozusagen der Belegreife.

DIE FAKTEN
Die Verklebung sowie der gespachtelte Untergrund zeigten sich bei der Drahtbürsten- und Gitterritzprüfung einwandfrei.

Kosten geteilt

Alle Beteiligten – der Bodenleger, der Verlegewerkstoff- und der Bodenbelagshersteller – kamen überein, dass trotz Einhaltung aller in der Verlegeanleitung vorgegebenen Parameter kein einwandfreies Ergebnis erzielt wurde. Sie führten dies auf den Sonderestrich zurück, der vermutlich noch nach Erreichen des durch den Zusatzmittel-Hersteller vorgegebenen Grenzwertes Feuchte abgibt, die zum Belagswachstum führte. Auf Vermittlung des Sachverständigen zeigten sich die Parteien kulant und übernahmen anteilig die Sanierungskosten.

DIE MESSUNGEN
Die korrespondierende relative Luftfeuchte unterhalb des Belages betrug 86 Prozent. Eine Darrprüfung des Stemmgutes aus dem Estrichquerschnitt ergab, dass die Belegreife sechs Wochen nach der Verlegung erreicht wurde.

Wissenswertes

Um die Thematik zu vertiefen, lohnt sich ein Blick in diese Fachliteratur:

  • TKB-Merkblatt 14 „Schnellzementestriche und Zementestriche mit Estrichzusatzmitteln“
  • TKB-Merkblatt 16 „Anerkannte Regeln der Technik bei der CM-Messung“
  • BEB Merkblatt 8.1 „Beurteilen und Vorbereiten von Untergründen“
  • Gemeinsame Erklärung BEB/ZDB zur CM-Messung von 2007
  • „Rechtliche Bewertung der Freistellungsmessung der Zusatzmittelhersteller; Erfahrungen mit dem neuen Bauvertragsrecht“, Vortrag von Professor Jürgen Ulrich, Vorsitzender Richter a. D., zum 20. Internationalen Sachverständigentreffen in Schweinfurt 2019
Fazit

Die tägliche Praxis zeigt, dass Sonderestriche Risiken bergen: Bestehende Aufbauempfehlungen der Verlegewerkstoff- und Belagsindustrie beziehen sich im Regelfall auf Normestriche. Sonderestriche können diesen in der Beurteilung und weiteren Bearbeitung nicht gleichgesetzt werden. Jürgen Ulrich, Vorsitzender Richter a. D., führte dazu 2019 sinngemäß aus: „Schnellzement-Estriche oder solche mit Estrichzusatzmitteln sind bislang in keinen Regelwerken erfasst. Sie entsprechen nicht den allgemein anerkannten Regeln der Technik, da positive Langzeiterfahrungen fehlen.

Insofern handelt es sich um nicht geregelte Sonderestriche, die nach den Vorschriften des Herstellers zu verarbeiten sind. Daraus ergeben sich für Planer und Ausführende erhöhte Sorgfalts- sowie besondere Hinweis- und Beratungspflichten dem Bauherrn gegenüber.“ Aus unserer Sicht müssen Hersteller von Sonderestrichen und deren Lieferanten für die zugesicherten Eigenschaften ihrer Produkte stärker in die Verantwortung genommen werden.