Stolperfalle Bodenbelag – Teil II: Rutschsicherheit von Bodenbelägen

Stolperfalle Bodenbelag

Teil II: Rutschsicherheit von Bodenbelägen

Rund 25 Prozent aller Unfälle im gewerblichen und über 40 Prozent im privaten Bereich sind auf Stürze durch Ausrutschen zurückzuführen. Mit der Wahl des richtigen Bodenbelags lassen sich die Risiken minimieren.

Alarmierende Zahlen: 75 Stolperund Sturzunfälle pro Stunde oder 600 Unfälle pro Tag werden den Berufsgenossenschaften gemeldet. Das sind 220.000 Unfälle jährlich, die auf Stolpern, Stürzen, Ausrutschen oder Umknicken zurückzuführen sind – zum Teil mit schwersten Verletzungsfolgen. Aus diesem Grund fordern die gewerblichen Berufsgenossenschaften eine bestimmte Rutschhemmungsklassifizierung von Bodenbelägen, die so genannten R-Werte.

Achtung, Rutschgefahr!

Die Ursache für Sturz- und Stolperunfälle liegen zumeist an der Unaufmerksamkeit des Fußgängers: Wenn man geht, läuft dies meist ganz automatisch ab, ohne dass man sich darauf konzentrieren muss. Kritisch wird es immer dann, wenn sich plötzlich der Untergrund ändert, man das zu spät mitbekommt und sich nicht mehr darauf einstellen kann. Dies ist nicht nur dann der Fall, wenn Böden verunreinigt oder nass sind, sondern auch wenn sich die Belagsstruktur ändert oder Unebenheiten den gewohnten Gang behindern.
Über den Umweg der Berufsgenossen-schaften, die u. a. für die Sicherheit am Arbeitsplatz zuständig sind, finden Anforderungen an die Rutschsicherheit von Fußböden auch in öffentlichen Gebäuden Anwendung. Gemäß der Richtlinie ZH 1/571 wird unter anderem für Eingangsbereiche ‚ Schalter- und Kundenräume eine Mindest-Rutschhemmungsklassifizierung nach R 9 gefordert. In speziellen Bereichen, in denen mit stärkeren Verunreinigungen zu rechnen ist, steigt die Rutschhemmstufe bis R 13. Dazu wird dann auch ein Verdrängungsraum (V) gefordert, der Flüssigkeiten ableiten kann.

Um die bereits beschriebene Stolpergefahr zu minimieren, dürfen sich zwei unterschiedliche Bodenbeläge, die aneinander grenzen, nur um eine Bewertungsgruppe (R) unterscheiden. Dies garantiert, dass man beim Gehen genügend Bodenhaftung hat und die Umstellung auf einen anderen Belag nicht zu extrem ist.

Im Gegensatz zur Nutzung öffentlicher Flächen, beispielsweise in Kaufhäusern, Kinos oder Flughäfen können am Arbeitsplatz auch spezielle Schuhe vorgeschrieben werden. In der Praxis nützt der rutschsicherste Bodenbelag wenig, wenn er mit glatten oder hohen Schuhen begangen wird. Die Rutschgefahr kann sich insbesondere durch Verunreinigungen erhöhen, aber auch falsche Reinigungsmaßnahmen sorgen immer wieder für empfindliche Ausrutscher: Bereits bei der Auswahl von Reinigungs- und Pflegemitteln ist zu prüfen, ob durch ihre Verwendung die Begehsicherheit beeinträchtigt wird. Spezialprodukte können die Rutschsicherheit sogar erhöhen. Auf die Verwendung schichbildender Mittel sollte verzichtet werden.

Diese wurden in den vergangenen Jahren auf einer stationären Prüfeinrichtung nach DIN 51 130 „Prüfung von Bodenbelägen; Bestimmung der rutschhemmenden Eigenschaft; Arbeitsräume und Arbeitsbereiche mit erhöhter Rutschgefahr; Begehungsgefahren – schiefe Ebene“ geprüft. Hieraus resultieren die Bewertungsgruppen R 10, R 11, R 12 und R 13. Im Lauf der Zeit hat sich die Bewertungsgruppe R 9, mehr oder weniger“ hinzugesellt“, da insbesondere elastische Bodenbeläge, die nicht speziell auf „Rutschhemmung“ ausgelegt sind, die Bewertungsgruppe R 10 nicht erreichen.

Die Bestimmung der rutschhemmenden Eigenschaften nach DIN 51 130 erfolgt unter Laborbedingungen als reine Materialprüfung an fabrikneuen Belagsmustern. Über die Eigenschaften des geprüften Belages im täglichen Gebrauch werden keine reproduzierbaren Erkenntnisse gewonnen. Deshalb ist man bereits seit Jahren bemüht, Untersuchungen und Prüfmethoden zu entwickelt, um die Oberfläche eines Belages sowohl im Labor als auch im Objekt prüfen und kontrollieren zu können.

Gemäß DIN 51 130 wird die Rutschhemmung von Bodenbelägen aller Art auf einer „schiefen Ebene“ bestimmt: Eine Prüfperson mit Prüfschuhen begeht in aufrechter Haltung vor- und rückwärts den zu prüfenden Bodenbelag. Dabei wird dessen Neigung vom waagerechten Zustand beginnend bis zu dem Winkel gesteigert, bei dem die Prüfperson unsicher wird. Der so genannte Akzeptanzwinkel wird auf dem mit Schmieröl bestrichenen Bodenbelag ermittelt. Der erreichte mittlere Akzeptanzwinkel dient zur Beurteilung des Grades der Rutschhemmung.

Wird nach diesem System ein Bodenbelag geprüft und beispielsweise mit R 10 bewertet, erhält er ein entsprechendes Prüfzertifikat, mit dem dann der Nachweis erbracht ist, dass der Bodenbelag, dem Urzustand entsprechend, als rutschhemmend eingestuft ist.

Erste mobile Messungen am verlegten Belag erlaubte das „Fußbodenglätte-Wegrollwiderstands-Prüfgerät WWTG“. Ein beidseitig mit vier Lederstücken ausgestattetes Schleppgewicht wird über die Fußbodenebene gezogen. Die am Zugseil angebrachte federwaagenähnliche Messeinrichtung gibt die Gleitreibung als Reibungsfaktor im Bereich von 0,0 bis 1,0 sowie farbig markiert (rot/grün) an. Die Angaben lassen Rückschlüsse auf die Schritt und Laufsicherheit zu. Ein Vergleich zu den R-Gruppen der DIN-Prüfung ist nicht gegeben. Prüft man parallel zur genutzten Fläche auch originale, ungenutzte Beläge ergeben viele Einzelwerte einen verlässlichen Mittelwert, der Aussagen über den „Ist-Zustand“ der Fläche zulässt.

Anforderungen konkretisiert

Immer neue Merkblätter, Richtlinien und Normschriften fordern professionellere Mess-/Prüfgeräte. So verlangte bereits 1976 die Verwaltungs-Berufsgenossenschaft in der Verordnung „ZH 11535“, dass Fußböden eben und rutschhemmend sein sollen und keine Stolperstellen haben dürfen. Einen Schritt weiter geht die „Richtlinie für Schulen, Bau und Ausrüstung (GUV 16.3)“ von 1987. Hier heißt es: Bodenbeläge für Fußböden sind mit rutschhemmender Eigenschaft zu verwenden, die diese Eigenschaft bei sachgerechter Pflege nicht verlieren.“ Im Rahmen ihrer Kontrollpflichten ist der Gemeindeunfall-Versicherungsverband angehalten, die rutschhemmenden Eigenschaft von Bodenbelägen vor Ort zu prüfen.

Fußbodenglätte-Wegrollwiderstand Prüfgerät WWTG nach Dipl.Ing. K.Schuster.
Fußbodenglätte-Wegrollwiderstand Prüfgerät WWTG nach Dipl.Ing. K.Schuster.
Floor-Slide-Control 2000.
Floor-Slide-Control 2000.

 

Auch auf europäischer Ebene werden entsprechende Forderungen formuliert. So weist der Entwurf zu EN 14 041 „Elastische-, textile- und Laminat-Bodenbeläge; Anforderungen für Gesundheit, Sicherheit und Energieeinsparung“ unter Punkt 4.5 “ Gleitwiderstand“ auf ein konkretes Prüfverfahren hin: „Bei Prüfung nach EN 00134033 müssen Bodenbeläge im Auslieferungszustand einen Gleitreibungskoeffizienten von im Mittel 0,30 9999 haben und werden als technische Klasse D deklariert.“ Bodenbeläge, die für den Gebrauch in Bereichen vorgesehen sind, in denen ein erhöhter Gleitwiderstand verlangt wird, müssen die Anforderungen der DIN EN 13 845 erfüllen und werden als technische Klasse ES deklariert.

Auch mit dem Thema „Dauerhaftigkeit“ setzt sich die Norm auseinander. Maßgeblich dürfte hier die Aussage sein, dass der Bodenbelag in Übereinstimmung mit den Herstelleranleitungen zu behandeln, zu reinigen und zu pflegen ist. Die Problematik der veränderten Gleitreibungseigenschaften während der Nutzung wird im Anhang C der prEN 14 041 zusammengefasst: „Elastische, textile und Laminatbodenbeläge sowie andere Bodenoberflächen haben im allgemeinen Gebrauch gewöhnlich einen akzeptablen Gleitwiderstand, vorausgesetzt sie sind sauber, trocken, frei von Öl, Fett und anderen rutschigen Substanzen, sind nach der Verlegung zweckdienlich behandelt worden und unterliegen einer fortlaufenden Pflege in der Nutzung.“

Eine Besonderheit ist auch im Entwurf zur DIN EN 13 893 „Elastische, laminierte und textile Bodenbeläge; Parameter für die Messung des Gleitreibungskoeffizienten von Bodenbelag-Oberflächen, deutsche Fassung prEN 13 893:2000“ zu finden: Hier werden nicht nur bei so genannten Hartböden wie Keramik, PCV oder Linoleum Anforderungen an die Rutschhemmung gestellt, sondern auch bei textilen Bodenbeläge.

Diesen neuen Anforderungen versucht man auch mit verbesserten Prüfgeräten zu begegnen. Mit dem Typ „Floor-SlideControl 2000“ lassen sich reproduzierbare Messungen vor Ort durchführen. Das Gerät fährt mit eigenem Antrieb und zieht einen ausgewählten Messgleiter über die Fußbodenoberfläche. Der Gleiter erzeugt am Dehn-Mess-Streifen-Balken einen Dehnungsmoment, das gemessen, ausgewertet und als Ausdruck wiedergegeben wird.

Dem Stand der Technik bei der Bestimmung der Trittsicherheit entsprechend wurde ein weiteres Gerät entwickelt, das Gleitmessgerät GMG 100. Es besteht aus einem aktiven Gleitkörper mit auswechselbaren und genormten Gleitflächen. Die Konzeption basiert auf der Integration von Messmechanik und Messelektronik. Nach Beendigung jeder Messfahrt werden alle Messwerte gespeichert. Eine Messung besteht aus fünf gültigen Messfahrten, wobei der Mittelwert aus den drei letzten Messfahrten als gültiger Messwert angezeigt wird. Die Messwerte werden auf einen Rechner geladen und ausgewertet.

 

Gleitmessgerät GMG 100 der Gesellschaft für phys. Technologie und Elektronik.
Gleitmessgerät GMG 100 der Gesellschaft für phys. Technologie und Elektronik.
Bestätigungsprüfung für mehr Sicherheit

Die Prüfung der Trittsicherheit von Fußbodenoberflächen ist allein bei Beachtung haftungsrechtlicher Gesichtspunkte nicht nur für gewerbliche Bereiche, sondern für alle öffentlich zugänglichen Objekte von besonderer Bedeutung. Dass hierbei die Rutschhemmungsprüfung eines „halbfertigen Bodenbelages“ als Probefläche nicht vordergründig den Maßstab bilden kann, ist nachvollziehbar.

In der Praxis wäre eine Bestätigungsprüfung, ähnlich wie bei der ableitfähigen Verlegung jedoch aussagefähiger als der Laborwert allein. Als Ergänzung zur Prüfung nach DIN 51 130 (schiefe Ebene) ist die Notwendigkeit gegeben, den Ist-Zustand während der Nutzung mit mobilen Gleitmessgeräten nach definierten Vorgaben zu dokumentieren.

Praxis-Beispiel Bäckerei:

Bereits bei der Planung sind die unterschiedlichen Anforderungen an die Bodenbeläge in ihrem Einsatzbereich zu beachten, und entsprechende Produkte auszuwählen. So muss der Boden in einer Backstube eine Rutschhemmung von R 11 aufweisen. In der Konditorei, also da, wo vorwiegend Fette und flüssige Massen verarbeitet werden, braucht man eine höhere Rutschhemmung von R 12. Im Spülräumen, wo viel Wasser und Reste auf den Boden gelangen können, muss der Belag zudem einen bestimmten Verdrängungsraum (V) aufweisen. Im Verkaufsraum hinter dem Tresen ist mindestens R 10 gefragt, ist ein Backofen installiert sogar R 11. Im angrenzenden Bistro-Bereich ist ein Belag mit R 9 ausreichend. Wechselt das Personal zwischen dem Theken- und dem Kundenraum hin und her, ist darauf zu achten, dass die Bewertungsgruppen nur eine Klasse auseinander liegen. Der Bodenbelag im Kundenraum müsste also ggf. um eine Klasse angehoben werden.